Das Gedicht „Sonett 130“ stammt aus der Feder von William Shakespeare.
Der Liebsten Aug' ist nicht wie Sonnenschein,
Nicht wie Korallen rot der Lippen Paar,
Gilt Schnee als weiß, muß braun ihr Busen sein,
Sind Haare Draht, ist schwarzer Draht ihr Haar.
Weiß sind und rot die Rosen an dem Strauch,
Doch solche Rosen sind nicht ihre Wangen,
Von Wohlgerüchen strömt ein süßrer Hauch,
Als meines Mädchens Atem hat empfangen.
Ich höre gern sie sprechen, doch gegeben
Ist der Musik noch angenehmrer Klang,
Ich sah zwar niemals eine Göttin schweben,
Doch auf der Erde ruht der Liebsten Gang.
Und doch beim Himmel ist sie mir so wert
Wie jede, die verlognes Gleichnis ehrt.
Übersetzt von Max Joseph Wolff
Von Sonn' ist nichts in meines Liebchens Blicken:
Wenn Schnee weiß, ist ihr Busen graulich gar:
Weit röter glüht Rubin als ihre Lippen:
Wenn Haare Draht sind, hat sie drahtnes Haar.
Damaskusrosen weiß und rot erblickt' ich;
Doch nicht auf Liebchens Wangen solchen Flor:
Und mancher Wohlgeruch ist mehr erquicklich,
Als der aus ihrem Munde geht hervor.
Gern hör' ich, wenn sie spricht; doch zu gestehen
Bleibt, daß Musik mir weit ein süß'rer Gruß.
Zwar keine Göttin hab' ich schreiten sehen:
Mein Liebchen, wenn es wandelt, geht zu Fuß.
Und doch, gewiß, so hoch beglückt sie mich
Als irgendeine, die man schlecht verglich
Übersetzt von Gottlob Regis
Ihr Auge glänzt nicht wie das Sonnenlicht,
nicht leuchten ihre Lippen wie Korallen.
Ist weiß der Schnee, ihr Busen ist es nicht,
und schwarzer Draht statt Haar gefällt nicht allen.
Ein Rosenbeet in roter, weißer Pracht
sah oft ich; aber nicht auf ihren Wangen.
Und oft war süßrer Duft mir zugebracht,
als ich von ihrem Atem hab empfangen.
Gern hör ich sie; doch kann ich nicht bestreiten,
daß meinem Ohr Musik doch holder tönt.
Noch niemals sah ich eine Göttin schreiten;
sie aber ist an Erdenschritt gewöhnt.
Und doch stellt sie mir jede in den Schatten,
für die die Schwärmer Schmeichelworte hatten.
Übersetzt von Karl Karl Kraus
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