Das Gedicht „Sonett 116“ stammt aus der Feder von William Shakespeare.
Dem festen Bund getreuer Herzen soll
Kein Hindernis erstehn: Lieb' ist nicht Liebe,
Die, in der Zeiten Wechsel wechselvoll,
Unwandelbar nicht stets im Wandel bliebe.
Ein Zeichen ist sie fest und unverrückt,
Das unbewegt auf Sturm und Wellen schaut,
Der Stern, zu dem der irre Schiffer blickt,
Des Wert sich keinem Höhenmaß vertraut.
Kein Narr der Zeit ist Liebe! Ob gebrochen
Der Jugend Blüte fällt im Sensenschlag,
Die Liebe wankt mit Stunden nicht und Wochen,
Nein, dauert aus bis zu dem Jüngsten Tag!
Kann dies als Irrtum mir gedeutet werden,
So schrieb ich nie, ward nie geliebt auf Erden!
Übersetzt von Max Joseph Wolff; Berlin 1903
Lass mich beim Bündnis treuer Seelen nicht
an Hemmnis glauben, Liebe ist nicht Liebe,
die bei Verändrung selbst von Aendrung spricht,
mit dem Entlasser sich entlässt, nicht bliebe.
O nein, sie ist ein ewig fester Turm,
der auf die Wetter sieht, den nichts versehrt,
sie ist der Stern für jedes Schiff im Sturm,
dess Höhe man ermisst, doch nie den Wert,
Sie ist kein Narr der Zeit. Ob die auch knicke
die Jugend und an Rosen?Haut sich wage,
verliert sie keinen ihrer Augenblicke,
doch trägt sie aus, ja, bis zum jüngsten Tage.
Ist dies ein Irrtum – prüft’s an meinem Lieben –
Hat keiner je geliebt, ich nie geschrieben.
Übersetzt von Erna Grautoff; Berlin 1940
Nichts löst die Bande, die die Liebe bindet.
Sie wäre keine, könnte hin sie schwinden,
weil, was sie liebt, ihr einmal doch entschwindet;
und wäre sie nicht Grund, sich selbst zu gründen.
Sie steht und leuchtet wie der hohe Turm,
der Schiffe lenkt und leitet durch die Wetter,
der Schirmende, und ungebeugt vom Sturm,
der immer wartend unbedankte Retter.
Lieb' ist nicht Spott der Zeit, sei auch der Lippe,
die küssen konnte, Lieblichkeit dahin;
nicht endet sie durch jene Todeshippe.
Sie währt und wartet auf den Anbeginn.
Ist Wahrheit nicht, was hier durch mich wird kund,
dann schrieb ich nie, schwur Liebe nie ein Mund.
Übersetzt von Karl Kraus; Wien 1933
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