Das Gedicht „Sonett 66“ stammt aus der Feder von William Shakespeare.
Des Todes Ruh ersehn' ich lebensmüd,
Seh' ich Verdienst als Bettler in der Welt,
Und leeres Nichts zu höchster Pracht erblüht,
Und reinste Treue, die im Meineid fällt,
Und goldne Ehre, die die Schande schmückt,
Und Mädchenunschuld roh dahin geschlachtet,
Und Kraft durch schwache Leitung unterdrückt,
Und echte Hoheit ungerecht verachtet,
Und Kunst geknebelt in der Obermacht,
Und Unsinn herrschend auf der Weisheit Thron,
Und Einfalt als Einfältigkeit verlacht,
Und Knecht das Gute in des Bösen Fron,
Ja lebensmüd entging' ich gern der Pein,
Ließ den Geliebten nicht mein Tod allein.
Übersetzt von Max Joseph Wolff
Statt dieses nun, fleh’ ich um stillen Tod; –
Als sehn: Verdienst zum Bettelstab geboren,
Und dürft’ges Nichts geschminkt mit falschem Rot,
Und reinste Treu’ böswillig weg geschworen,
Und goldne Ehre Schelmen zugewendet,
Und wahre Trefflichkeit schmählich verkannt,
Und jungfräuliche Tugend roh geschändet,
Und Manneskraft durch lahme Macht entmannt,
Und Wissenschaft gewaltsam stumm gemacht,
Und Narrheit doktorhaft die Kunst regieren,
Und Einfalt als Einfältigkeit verlacht,
Und Hauptmann Bös, Gut als Gefangnen führen:
Satt dies zu sehn, wär’ Tod mir keine Pein,
Ließ sterbend ich mein Liebstes nicht allein.
Übersetzt von M. G. Warburg
Müde von alle diesem wünsch' ich Tod:
Verdienst zum Bettler sehn geboren werden,
Und hohle Dürftigkeit in Grün und Rot,
Und wie sich reinste Treu entfärbt auf Erden,
Und goldnen Ehrenschmuck auf Knechteshaupt,
Und jungfräuliche Tugend frech geschändet,
Und Hoheit ihres Herrschertums beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,
Und Kunst im Zungenbande der Gewalt,
Und Schulenunsinn, der Vernunft entgeistert,
Und schlichte Wahrheit, die man Einfalt schalt,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert:
Müde von alle dem, wär Tod mir süß;
Nur, dass ich sterbend den Geliebten ließ!
Übersetzt von Gottlob Regis
Anmerkung: Das Sonett 66 (auch «Hamlet–Sonett» genannt) gehört zu der Sequenz „Schöner Jüngling“ ("Fair Youth"); der namenlose junge Mann, an den sich der hingebungsvolle Dichter in der größten Folge der Sonette wendet (1-126).
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