Das Gedicht „Großstadt Weihnachten“ stammt aus der Feder von Kurt Tucholsky.
Nun senkt sich wieder auf die heim′ schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.
Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glase.
Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn.
Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
"Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!"
Und frohgelaunt spricht er vom ′ Weihnachtswetter′ ,
mag es nun regnen oder mag es schnein.
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plauderein.
So trifft denn nur auf eitel Gück hienieden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden …
"Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug."
Anmerkung: zu diesem Gedicht passt auch eine Textpassage aus dem Roman "Der Distelfink" von Donna Tartt (* 1963):
"Lexington Avenue. Feuchter Wind. Der Nachmittag war gespenstisch und nasskalt. Ich ging an der U-Bahn Station in der 51st und der 42nd Street vorbei und lief immer weiter, um den Kopf freizubekommen. Aschweiße Apartmentblocks.
Horden von Menschen auf den Straßen, beleuchtete Weihnachtsbäume, die hoch oben auf Penthouse-Balkonen funkelten, süßliche Musik, die aus Läden plätscherte, und während ich mir einen Weg durch die Massen bahnte, hatte ich das eigenartige Gefühl, ich wäre bereits tot und würde in einem Bürgersteiggrau wandeln, so endlos, dass die Straße oder selbst die ganze Stadt es nicht umfassen konnten, und meine Seele löste sich von meinem Körper und trieb unter anderen Seelen in einem Nebel irgendwo zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Walk, Don´t Walk, einzelne Fußgänger, seltsam isoliert, einsam, leere Gesichter, die stur geradeaus starrten, Stöpsel in den Ohren, lautlos die Lippen bewegten, schalldicht abgedämmt gegen den Lärm der Stadt unter einem erdrückenden granitfarbenen Himmel, der die Straßengeräusche dämpfte, Müll und Zeitungen, Beton und Nieselregen, ein schmutziges Wintergrau, schwer wie Stein."
Weitere gute Gedichte des Autors Kurt Tucholsky.
- Augen in der Großstadt
- Eine Frage
- Danach
- Letzte Fahrt
- Rosen auf den Weg gestreut
- Der Graben
- Das Ideal
- Aus
- Groß-Stadt Weihnachten