GedichtGedichte

Das Gedicht „Veilchen“ stammt aus der Feder von Sophie von Khuenberg.

Einsam ging ich und traurig
durch die lärmvollen,
breiten, glatten
Menschen durchwogten
Straßen der Großstadt.

Hinweggefegt
hatte der pfeilscharfe
kühle Märzwind
tagsüber die Wolken,
die so gerne rasten,
unbeweglich,
grau und schwer
am nordischen Himmel.

Klar und blau nun
sah er hernieder
und ungewohnt
der goldigen Helle
atmete hörbar wieder
die Lebensfreude.

Sie zitterte silbern
in den aufspritzenden
Alsterwellen,
die schäumend empor schlugen
an die Schaufelräder
der Dampfer
und schaukelnd tanzten
um langgestreckte
luftige Boote.

Von dem rotlich getönten
Abendhimmel
hoben die Türme sich ab,
schlankgliedrig,
mit grünlich schillernden Kuppeln
und blinkendem Kreuz.

Erster Flaum des Frühlings
auf den gepflegten
lieblich gerundeten
Baum-Oasen
am Saum des Wassers
und in den Gärten,
den weithin sich schmiegenden,
vornehm stillen,
der wappenlosen
Geldfürsten
der Hansa.....

Wieder zurück
von dem helleren Bilde
wandt' ich mich,
mit verdüstertem Herzen
den düstern Straßen zu.

Den ernsten finsteren
Großstadtstraßen,
in welchen die Arbeit hastet,
die mühselig treibende,
und die Geldgier begehrlich
über zahlenbedeckten
Büchern sitzt.

Und halb verbittert
vorbei schleicht
im schlürfenden Schritt
zerfetzter Schuhe
an üppigen Schaufenstern.

Bang ward mir um's Herz
und mit heimlichen Grauen
sah ich empor
an den hohen, grauen,
sonnenlosen Mauern
der Häuser.....

Neben mir, festgebannt
an meine Seite,
schritt die Sorge,
halbjung und blaß
in verschossenem Regenmantel.

Mit eingezogenen Schultern,
ein freches Lächeln im alten
Kinderantlitz
sah sie zu mir herüber,
als wolle sie sagen:
Eile nicht — flieh nicht vor mir!
Wohin du dich auch wendest,
ich hole dich ein!

Wir bleiben beisammen,
du und ich,
heute, morgen
und manchen Tag noch!
Auch des Nachts
bleib ich bei dir
und will darauf achten,
daß nicht die Hoffnung,
die leichte Dirne
sich zu dir schleiche im Traum,
dich zu bereden,
daß sie mächtiger sei
als ich!

Unscheinbar bin ich,
doch mein Wille ist zäh
und unbeugsam meine Tücke!
Und du, gerade du,
sollst mir nicht entkommen!
im Gängeviertel,
da bin ich zu Haus,
hungern und frieren sehen,
sie fluchen hören
und lästern
und täglich wieder
ins Joch sie drücken
ins verhaßte,
das ist mir nichts neues mehr. -
Alltagskost,
an der ich mich satt gegessen
so manches Jahr ... .

Aber dich, dich will ich halten
in meinem Bann!
Dein Dichterherz,
dein töricht heißes,
das verlangend aufschreit
nach einem Leben
voll Sonnenschein,
und glückatmender Ruhe,
das will ich hinunterwürgen
in Abgrundtiefen
der Verzweiflung,
ersticken will ich
den sehnenden Vollklang
deiner Lieder
und mit Alltagsqualen
dich zu Tode foltern,
bis deine Träume
in nichts zerfallen.
Und du, siech und müde
aufgibst
den verzweifelten,
vergeblichen Kampf!

Flieh nicht vor mir —
ich hole dich ein!!"
Angstvoll,
mit Blicken des Hasses
sah ich sie an,
die böse Sorge,
wie sie dicht neben mir
schlürfend einherging,
häßlich, quälend,
ein greifbares Gespenst,
und müde Ohnmacht
legte sich schwer,
wie grauer Nebel
auf meine Sinne....

Da klang es vor mir
von grober Frauenstimme,
gleichgültig halb
halb
in erlernter Freundlichkeit:
"Veilchen!
Kaufen Sie Veilchen, Madame,
Ganz frische Veilchen!"
Stehen blieb ich
und nahm den Strauß,
den vollen, düftereichen
aus den Händen der Frau,
einer kräftig blüh'nden
Vierländerin,
im drallen Bauernschmuck
des Kirschenlandes.

Stumm gab ich ihr,
was sie begehrte,
und während sie weiterschritt
mit wiegenden Hüften,
stand ich
und hielt die Veilchen,
die süßen, tiefblauen
Lieblingskinder des Lenzes
an mein Gesicht.

Geschlossnen Auges
trank ich in mich
den weichen,
milden Atem
der Blumenseelen,
der mich berauschte,
wie Sehnsuchtsgedanken,
wie Liebesküsse,
wie Ruhmes-Träume
und Wonne der Heimat!

O Ihr Veilchen!
zum Leben erwachende Liebe
habt ihr geschmückt mir
und geliebte Tote benetzt
mit meinen Tränen.

Willkommengruß
und Abschiedsworte,
alles, alles
habt ihr geleitet mir,
ihr süßen, lieben,
trostbringenden Veilchen!

So stand ich, träumend
und ließ an mir vorübergleiten,
achtlos,
den Strom der Menschen.

Plötzlich,
mich angstvoll erinnernd
der grauen Sorge,
mit dem frechen,
grausamen Lächeln,
blickt' ich zur Seite,
schaudernd
sie wieder zu finden —
— Doch sie war fort!
in der Ferne noch,
vermengend sich
mit dem fahlen Grau
der letzten Häuser
sah ich den Regenmantel
nachlässig schlottern
um die sieche Gestalt ....

Ich war allein.
Allein mit den Veilchen.

Und mir war, als stiegen sie
aus meiner Hand empor
zu meiner Stirne
und würden dort
zu lichtfrohen Gedanken
und kletterten wieder hinab
in mein trauriges Herz
und machten es mild und selig
und weckten darin
zitternde Funken
hinsterbenden
Lebensmutes
zu neuen Flammen!

Und dennoch hielt ich sie,
sichtbar und faßbar
in meinen Händen
und bedeckte sie
mit stummen,
heißen,
Leidenschaftlichen Küssen!
Veilchen! Veilchen!

Siehe auch das Gedicht Veilchen von Heinrich Seidel.

 

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