GedichtGedichte

Eine Liste der besten Gedichte über Tagesabschnitte (Morgen, Mittag, Abend, etc.) - moderne und auch Klassiker; sowohl lang als auch kurz. Lassen Sie sich von diesen Worten inspirieren. Die Verse eignen sich um Stimmung dieses Abschnitts im Tagesablauf zu beschreiben.

 


Abend-Idyll

Wie Samos-Wein zerfließt aus ihren Lippen
Der süße Kuß vertrauter Einsamkeit,
Es schweigt die Welt, ausruhen Kampf und Leid
Indes sie lächelnd Wein und Liebe nippen!

Umschifft sind aller Sorgen steile Klippen,
Das Meer der Sehnsucht dehnt sich blau und weit
Und wie in goldiger Hellenenzeit
Aspasia siegt im Land der Telesippen.

So siegt auch hier die Allmacht heißer Minne,
In nichts zerfließen kleinliche Gefühle
Und höchstes Glück erschließt sich ihrem Sinne!

So leben sie, fernab vom Weltgewühle
Ein griechisches Idyll und ihrer Wonne
Fehlt nur der Myrthe Duft und ewige Sonne!

Sophie von Khuenberg; aus der Sammlung "Im Lärm der Welt"

Schlaf

Nun trifft es mich, wie’s jeden traf,
ich liege wach, es meidet mich der Schlaf,
nur im Vorbeigehn flüstert er mir zu:
„Sei nicht in Sorg‘, ich sammle deine Ruh,
und tret ich ehstens wieder in dein Haus,
so zahl ich alles dir auf einmal aus.“

Theodor Fontane; Erste Strophe des Gedichts "Schlaf" - der Rest lohnt sich nicht wirklich.

Morgenlied

Verschwunden ist die finstre Nacht,
die Lerche schlägt, der Tag erwacht,
die Sonne kommt mit Prangen
am Himmel aufgegangen.

Sie scheint in Königs Prunkgemach,
sie scheinet durch des Bettlers Dach,
und was in Nacht verborgen war,
das macht sie kund und offenbar.

Lob sei dem Herrn und Dank gebracht,
der über diesem Haus gewacht,
mit seinen heil´gen Scharen
uns gnädig wollt´ bewahren!

Wohl mancher schloß die Augen schwer
und öffnet sie dem Licht nicht mehr;
drum freue sich, wer neu belebt
den frischen Blick zur Sonn´ erhebt!

Friedrich von Schiller

Morgen

Lichter und Schatten im Wechseltanz
gaukeln über die goldenen Ähren.
Roter Mohn in leuchtendem Glanz
träumt von wundersamen Mären.

Blühendes Leben in weiter Rund'.
Aber tief im Halmengrund
klingt wie Sensenschlag ein Ton:
Morgen schon,
morgen!

Jakob Loewenberg (1856 - 1929), deutscher Schriftsteller und Pädagoge


Und so an der Bettkante aufgerollt, zieht er sich in den Schlaf zurück wie eine Schildkröte in ihren Panzer. In dieser Nacht ist der Schlaf nicht ein dunkles, unheimliches Gebiet, in das vorzudringen der Geist sich bewusst konzentrieren muss, in dieser Nacht ist er eine Höhle in ihm selbst, eine Höhle in Rabbit, in der er sich zusammenkuschelt, während draußen der Bär mit seinen Pranken rüttelt wie Regen.
Sonnenschein, der alte Clown, füllt das Zimmer bis zum Rand.

John Updike (1932 - 2009); aus dem Roman "Hasenherz"

Morgen! …

  … Und morgen wird die Sonne wieder scheinen,
Und auf dem Wege, den ich gehen werde,
    Wird uns, die Seligen, sie wieder einen,
Inmitten dieser sonnenatmenden Erde …

    Und zu den Strand, dem weiten, wogenblauen,
Werden wir still und langsam niedersteigen.
    Stumm werden wir uns in die Augen schauen,
Und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen …

John Henry Mackay

Fernes Licht

Fernes Licht mit nahem Schein
wie ich mich auch lenke,
lockt es dich nicht dazusein,
wenn ich an dich denke?

Wo du bist, du sagst es nicht
und du kannst nicht lügen.
Nahen Schein von fernem Licht
läßt du mir genügen.

Wüßt' ich, wo das ferne Licht,
wo es aufgegangen,
naher Schein, er wehrte nicht,
leicht dich zu erlangen.

Fernes Licht mit nahem Schein
mir zu Lust und Harme,
lockt es dich nicht da zu sein,
wenn ich dich umarme?

Karl Kraus (1874 - 1936) war ein österreichischer Schriftsteller der den größten Teil seines Lebens in Wien verbrachte. Zu seinen Hauptwerken gehören das satirische Drama "Die letzten Tage der Menschheit" (1918) und die Zeitschrift "Die Fackel", die er von 1899 bis 1936 herausgab. Literarische Bedeutung erlangte er als einer der bedeutendsten Aphoristiker deutscher Sprache.

Nacht

Ich bin so müde dieses Kampfs tiefinnen;
Gieb Frieden mir! Nur du magst dazu taugen.
Ich bin so müd', zu denken und zu sinnen;
Gieb mir die Helle deiner großen Augen!

Ich bin so müde dieser Traumeswirren,
Zu glorreich schönem Tag erweck mich du!
Ich bin so müde, stets herum zu irren;
Binde die Flügel mir, bring mich zur Ruh'!

Annie Vivanti (1866 - 1942) war eine italienische Schriftstellerin und Dichterin, die in verschiedenen Kulturkreisen lebte und arbeitete; sie war eine exzentrische Schriftstellerin, eine Persönlichkeit mit vielseitigen Interessen, eine Protagonistin des intellektuellen und sozialen Lebens vieler Länder.

Sonntagmorgen

Träumerische Sonntagsstille! …
Fernes, festliches Geläut,
Goldner Duft auf allen Wipfeln,
Tropfen Tau im Gras verstreut.

In verlass'ner Waldkapelle
Bebt ein Glöcklein trauernd leise,
Ob auch rings die Schöpfung jauchzet,
Einsam singt es seine Weise.

Und ich weiß, was sie bedeutet…
Durch mein ganzes Leben zieht
Solch ein Sang – es ist des Schmerzes
Nimmer endend Klagelied.

Ja, du strahlst und prangst im Lichte,
Wunderbare Gotteswelt!
Doch das Herz mit seinem Leide
Ist als Schatten beigesellt.

Eugenie Marlitt (1825 - 1887), Pseudonym für Friederieke Henriette Christiane Eugenie John, deutsche Schriftstellerin

Bei Nacht

Nachts, wenn das Meer mich wiegt
Und bleicher Sternenglanz
Auf seinen weiten Wellen liegt,
Dann löse ich mich ganz
Von allem Tun und aller Liebe los
Und stehe still und atme bloß
Allein, allein vom Meer gewiegt,
Das still und kalt mit tausend Lichtern liegt.

Dann muss ich meiner Freunde denken
Und meinen Blick in ihre Blicke senken,
Und frage jeden still allein:
"Bist du noch mein?
Ist dir mein Leid ein Leid? Mein Tod ein Tod?
Fühlst du von meiner Liebe, in meiner Not
Nur einen Hauch, nur einen Widerhall?"

Und ruhig blickt und schweigt das Meer
Und lächelt: Nein.
Und nirgendwo kommt Gruß und Antwort her.

Hermann Hesse


Nacht ist schon hereingesunken,
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glänzen fern;

Glitzern hier im See sich spiegelnd,
Glänzen droben klarer Nacht,
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Pracht.

Johann Wolfgang von Goethe; Quelle: Faust. Der Tragödie zweiter Teil, 1832. 1. Akt, Szene: Anmutige Gegend


Von vier Uhr bis sieben
im Herz, wie im Spiegel, ein Schatten,
auch unter den Leuten – alleine geblieben…
Der Tag geht nur langsam von statten
von vier Uhr bis sieben!

Ich brauch keine Menschen – sie lügen
und werden grausam bei Dämmerung.
Ich könnte weinen. Zur Schnur
haben die Finger das Tüchlein gewrungen.

Hab ich dich beleidigt – verzeih,
doch bitt ich, mich nicht zu betrüben!
– Ich spüre unendliche Traurigkeit
von vier Uhr bis sieben.

Marina Iwanowna Zwetajewa (1892 - 1941) war eine bedeutene russische Dichterin und Schriftstellerin im 20. Jahrhundert.


"Die Sonne war schon untergegangen, und das Meer, das man durch die Zweige der Apfelbäume erblickte, war malvenfarbig. Kleine rosenrote und blaue Wölkchen schwebten am Horizont, so zart wie lichte welke Kränze, immer wechselvoll wie Klagen.
Eine melancholische Reihe von Pappeln tauchte im Dunkel unter, ihre ergebenen Wipfel versanken, in einem rosa leuchtend, wie es die Scheiben alter Kirchen haben. Die letzten Strahlen konnten nicht bis zu ihren Stämmen durchdringen und färbten bloß ihre Äste, die schattenhaften Balustraden mit Lichtgirlanden behängend. Die Brise vereinte den Duft von Meer, von feuchtem Blattwerk und von Milch. Nie war die Landschaft von Sylvanien tiefer mit wollüstiger Glut und mit der Wehmut des sanften Abends durchtränkt."
Marcel Proust (1871-1922); Tage der Freuden, Der Tod des Baldassar Sylvandre, Freiherrn von Sylvanie

Abendlied

Stille sinkt
Die Welt in Ruh,
Ihre Lider
Tut sie zu.
Meiner Seele
Nachtstern blinkt,
Meiner Seele
Lichtherr blinkt.

Tag versinkt und
Ruhe scheint,
Liebe trinkt und
Christus weint
Um die Seele,
Die Er einte,
Sich und Gott und
Hoch vereinte.

Reinhard Johannes Sorge

Abend

Einsam hinterm letzten Haus
geht die rote Sonne schlafen,
und in ernste Schlußoktaven
klingt des Tages Jubel aus.

Lose Lichter haschen spät
noch sich auf den Dächerkanten,
wenn die Nacht schon Diamanten
in die blauen Fernen sät.

Rainer Maria Rilke

Ruhe

Mein Herz ist schlafen, wie ein stiller See.
Und ruhig gleiten meine weichen Lieder,
wie Schwäne, leise rinnende Kreise ziehend,
— weißt du? —
über die sehnsuchtssingende Fläche.

Doch wirfst du deines Auges milden Strahl
in meiner singenden Seele lauschenden Grund,
dann blickt der Mond, in Silberblau getaucht,
Duftnebel streuend auf den dunkeln See,
ein Tönen schwingt sich flüsternd über die Weiten,
stillreger Wipfel Mondesnachtgesang,
die Schwäne rühren träumend ihr Gefieder
und singen wundertief und wehmutsselig
der Mutter Nacht ein nebeltrübes Lied.

Walter Calé (1881 - 1904)

Morgenstunde

Wo kommt die Luft her, die so zärtlich kühlt,
woher das Licht,

das jetzt das steile Kirchendach umspült
und sich im Brunnentroge glitzernd bricht?

So fühlt’ ich’s doch, so sah ich’s schon einmal,
vor langer Zeit… in meiner Jugend Tal…

Wie damals ist die Stunde eingeschlafen.
Nur Morgenluft und -glanz auf weitem Plan.
An seiner Kette, träumend, zerrt im Hafen
des Lebens Kahn.

Aus der Sammlung "Im letzten Viertel". Dr. Owlglaß (englisch; „Eulenspiegel“); eigentlich Hans Erich Blaich (1873 - 1945) war ein deutscher Arzt, Schriftsteller und Lyriker.


Jalta war im Morgennebel kaum zu sehen, auf den Bergspitzen lagerten unbeweglich weiße Wolken. Das Laub rührte sich nicht, die Zikaden, und das eintönige, dumpfe Brausen des Meeres sprach von ewigem Schlafe, der uns alle erwartet. So brauste es hier als es weder ein Jalta noch ein Oreanda gab, so braust es jetzt, und es wird ebenso gleichgültig und dumpf brausen, wenn wir nicht mehr sind. In dieser Beständigkeit, in dieser Gleichgültigkeit unserm Leben und Sterben gegenüber liegt vielleicht das Pfand der ewigen Erlösung, des ewigen Fortschreitens des irdischen Lebens und seiner ewigen Vervollkommnung.
Während er an der Seite der jungen Frau, die im Morgengrauen so schön schien, saß und von der märchenhaften Szenerie des Meeres, der Berge, der Wolken und des unendlichen Himmels beruhigt und bezaubert war, dachte er daran, wie schön doch alles in dieser Welt sei, alles, mit Ausnahme dessen, was wir selbst tun und denken, wenn wir die höchsten Ziele des Seins und unsere eigene Menschenwürde vergessen.

Anton Tschechow (1860 - 1904); aus der Erzählung "Die Dame mit dem Hündchen" (eines der Bücher, die Michael in "Der Vorleser" für Hanna auf Kassette aufnimmt.)

Mittag im September

Es hält der blaue Tag
Für eine Stunde auf der Höhe Rast.
Sein Licht hält jedes Ding umfaßt,
Wie man's in Träumen sehen mag:
Daß schattenlos die Welt,
In Blau und Gold gewiegt,
In lauter Duft und reifem Frieden liegt.

- Wenn auf dies Bild ein Schatten fällt! -

Kaum hast du es gedacht,
So ist die goldene Stunde
Aus ihrem leichten Traum erwacht,
Und bleicher wird, indes sie stiller lacht,
Und kühler wird die Sonne in der Runde.

Hermann Hesse

An die Morgenröte

Aurora, fahr herauf auf deinem goldnen Wagen,
Da ich vor Lieb und Schmerz nicht schlafen kann!
Wann Chloe bei mir ruht, dann halt die Zügel an,
Dann, Göttin, lass es später tagen.

Ewald Christian von Kleist (1715 - 1759) war ein deutscher Dichter und preußischer Offizier.


Tage, wenn sie scheinbar uns entgleiten,
gleiten leise doch in uns hinein,
aber wir verwandeln alle Zeiten;
denn wir sehnen uns zu sein…

Rainer Maria Rilke; Für Alfred Walther Heymel, Dezember 1907


"Indessen war Abend geworden, das graue Gewölk auf einer Seite aufs Gebirge herabgesunken, auf der anderen Seite eine durchdringende Helligkeit und Reinheit, einzelne goldenen Flocken da und dort am Himmel, alles in Bewegung auf dem dunkelblauen Himmel, der Tümpel mit den aufgeregten Enten wie sprühendes Feuer und Gold, der Efeu drüben an der Mauer der Kapelle wie Smaragd, ein Zaunschlüpfer oder Rotkehlchen glitt aus dem grünen Dunkel hervor, überschlug sich mit einem süßen Laut in der webend leuchtenden Luft. Das Schönste waren Romanas Lippen, die waren von leuchtendem durchsichtigem Purpurrot, und ihre eifrig arglosen Reden kamen dazwischen heraus wie eine Feuerluft, in der ihre Seele hervorschlug, zugleich aus den braunen Augen ein Aufleuchten bei jedem Wort."
Quelle Text: Erzählungen, Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)

Der Radwechsel

Ich sitze am Straßenhang,
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?

Bertolt Brecht

Langschläfers Morgenlied

Der Wecker surrt. Das alberne Geknatter
Reißt mir das schönste Stück des Traums entzwei.
Ein fleißig Radio übt schon sein Geschnatter.
Pitt äußert, daß es Zeit zum Aufstehn sei.

Mir ist vor Frühaufstehern immer bange.
… Das können keine wackern Männer sein:
Ein guter Mensch schläft meistens gern und lange.
– Ich bild mir diesbezüglich etwas ein …

Das mit der goldgeschmückten Morgenstunde
Hat sicher nur das Lesebuch erdacht.
Ich ruhe sanft. – Aus einem kühlen Grunde:
Ich hab mir niemals was aus Gold gemacht.

Der Wecker surrt. Pitt malt in düstern Sätzen
Der Faulheit Wirkung auf den Lebenslauf.
Durchs Fenster hört man schon die Autos hetzen.
– Ein warmes Bett ist nicht zu unterschätzen.
… Und dennoch steht man alle Morgen auf.

Mascha Kaléko

Nachtzauber

Der Mond errötet
Kühle durchweht die Nacht

Am Himmel
Zauberstrahlen aus Kristall

Ein Poem
besucht den Dichter

Ein stiller Gott
schenkt Schlaf
eine verirrte Lerche
singt im Traum
auch Fische singen mit
denn es ist Brauch
in solcher Nacht
Unmögliches zu tun

Rose Ausländer


Nacht flieht, – der krause Dunst der Berge fällt
Und schmilzt zu Gold, und Licht erweckt die Welt!
Ein neuer Tag schwellt die Vergangenheit,
Ein neuer Schritt ans Ende unsrer Zeit; –
Nur die Natur steht neugeboren auf;

Die Erde lebt, die Sonn' eilt ihren Lauf,
Im Strom ist Frische, Glanz im Morgenstrahl,
Labsal im Winde, Blumenduft im Tal.
Gottgleicher Mensch, sieh diesen Glorienschein
Der Dinge an und juble: sie sind dein!

George Gordon Byron


Sagen Sie nicht nur, dass Sie Bücher gelesen haben. Zeigen Sie, dass Sie dadurch gelernt haben, besser zu denken, differenzierter und reflektierter zu analysieren.
Bücher sind die Trainingsgewichte des Geistes. Sie sind sehr hilfreich, aber es wäre ein schlimmer Fehler, anzunehmen, dass man Fortschritte gemacht hat, nur weil man ihren Inhalt verinnerlicht hat.

Epiktet (ca. 50 - 138) in "Anleitung zum glücklichen Leben"


Nenn ich dich Aufgang oder Untergang?
Denn manchmal bin ich vor dem Morgen bang
und greife scheu nach seiner Rosen Röte -
und ahne eine Angst in seiner Flöte
vor Tagen, welche liedlos sind und lang.

Aber die Abende sind mild und mein,
von meinem Schauen sind sie still beschienen;
in meinen Armen schlafen Wälder ein, -
und ich bin selbst das Klingen über ihnen,
und mit dem Dunkel in den Violinen
verwandt durch all mein Dunkelsein.

Rainer Maria Rilke


Des Nachts, wenn ich aufwache,
und des Morgens, wenn ich aufstehe,
ist es mir, als wenn etwas
traumhaft Schönes auf mir liege.

Und dann ist es doch nur das Leben,
das mit seinen schönen Armen
ausgebreitet vor mir steht,
auf dass ich hineinfliege.

Paula Modersohn-Becker (1876 - 1907), deutsche Malerin


Die Nacht ist klarer als der Tag; sie ist ideal zum Denken, Lieben und Träumen. In der Nacht ist alles intensiver, wahrer. Das Echo der Worte, die am Tag gesprochen wurden, bekommt eine neue und tiefere Bedeutung. [Elie Wiesel]


 

In seinem Sessel, behaglich dumm,
sitzt schweigend das deutsche Publikum.
Braust der Sturm herüber, hinüber,
wölkt sich der Himmel düster und trüber
zwischen die Blitze schlängelnd hin,
das rührt es nicht in seinem Sinn.

Doch wenn sich die Sonne hervorbeweget,
die Lüfte säuseln, der Sturm sich leget,
dann hebt’s sich und macht ein Geschrei
und schreibt ein Buch: "Der Lärm ist vorbei."

Fängt an darüber zu phantasieren,
will dem Ding auf den Grundstoff spüren,
glaubt, das sei doch nicht die rechte Art,
der Himmel spaße auch ganz apart,
müsse das All systematischer treiben,
erst an dem Kopf, dann an den Füßen reiben,
gebärd’t sich nun gar wie ein Kind,
sucht nach Dingen, die vermodert sind,
hätt’ indessen die Gegenwart sollen erfassen
und Erd’ und Himmel laufen lassen,
gingen ja doch ihren gewöhnlichen Gang,
und die Welle braust ruhig den Fels entlang.

Karl Marx (1818 –1883) war ein in Deutschland geborener Wirtschaftswissenschaftler, Historiker, Philosoph und revolutionärer Sozialist. Seine bekanntesten Werke sind das "Kommunistische Manifest" von 1848 und das dreibändige Werk "Das Kapital" (1867-1894).