Das Gedicht „Nis Randers“ stammt aus der Feder von Otto Ernst.
Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd -
Ein Schrei durch die Brandung!
Und brennt der Himmel, so sieht mans gut.
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sichs der Abgrund.
Nis Randers lugt - und ohne Hast
Spricht er: "Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen."
Da fasst ihn die Mutter: "Du steigst mir nicht ein:
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich wills, deine Mutter!
Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!"
Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
"Und seine Mutter?"
Nun springt er ins Boot und mit ihm noch sechs:
Hohes, hartes Friesengewächs;
Schon sausen die Ruder.
Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
Nun muss es zerschmettern…! Nein, es blieb ganz…!
Wie lange? Wie lange?
Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
Die menschenfressenden Rosse daher;
Sie schnauben und schäumen.
Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
Eins auf den Nacken des andern springt
Mit stampfenden Hufen!
Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
Was da? - Ein Boot, das landwärts hält -
Sie sind es! Sie kommen! - -
Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt…
Still - ruft da nicht einer? - Er schreits durch die Hand:
"Sagt Mutter, 's ist Uwe!".
Analyse
Die Ballade "Nis Randers" (1901; Epoche des Realismus) besteht aus 12 Strophen mit jeweils 3 Versen. In allen Strophen reimen sich die ersten beiden Zeilen ([aab, ccd, usw.] - eine Variation des Paarreims bzw. des Schweifreims). Sie weisen jeweils 4 Hebungen mit männlicher Kadenz auf.
Inhalt / Zusammenfassung
Der Protagonist Nis Randers erkennt in einem gestrandeten Segelschiffs einen Überlebenden und beschließt, ihn trotz der damit verbundenen Gefahr an Land zu holen. Seine Mutter versucht verzweifelt, ihn davon abzuhalten. Ihr Mann und ihr Sohn Momme sind bereist auf See umgekommen und der Sohn Uwe gilt seit 3 Jahren als verschollen. Doch Nis rudert mit 6 Gefährten los. Sie bestehen den Sturm, und der Gerettete ist kein anderer als der verschollene Uwe.
Hintergrund
- Nis Randers ist mit Abstand das bekannteste Gedicht des Schriftstellers Otto Ernst (1862 - 1926). Es spitzt einen menschlichen Grundkonflikt bei der Lebensrettung dramatisch zu.
Generationen von Schülern mussten diese Gedicht auswendig lernen. Noch heute gehört es vielfach zum Lehrplan des Deutschunterrichts (unter dem Deckmantel des ur-deutschen Konzepts der Fachdidaktik). Wie Fontanes "John Maynard" und Schillers "Die Bürgschaft" wird es nicht nur wegen seiner literarischen Qualität und der spannenden Darstellung, sondern auch wegen des Themas Opferbereitschaft und Pflichterfüllung für "pädagogisch wertvoll" (hüstel, hüstel) erachtet. - Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) würdigte diese Verse, indem sie einen Seenotkreuzer in Bremen 1990 auf den Namen "Nis Randers" taufte. 2021 wurde er durch einen gleichnamigen Neubau ersetzt, der seither mit dem Tochterboot "Uwe" im Nothafen Darßer Ort stationiert ist.
- Die Ballade wurde von Achim Reichel vertont (Album Regenballade; 1978). Die Band Engerling arbeitete sie in ihre Version von "Riders on the Storm" auf dem Album "Engerling Live" (1994) ein. Ein Arrangement durch Duo Camillo erschien 2010 auf ihrem Album "Das wird schon wieder".
Seenot liegt vor, wenn Seeleute von einer ernsten Gefahr bedroht sind und sofortige Hilfe benötigen. In erster Linie entscheidet die Person mit der höchsten Verantwortung an Bord, der Kapitän, ob ein Seenotfall vorliegt und ob der Notfall durch ein Notsignal gemeldet werden soll. Ein Rettungsleiter in einer Seenotrettungsleitstelle kann jedoch auch ohne Zustimmung des Kapitäns einen Notfall ausrufen.
Alternativ zum Seenotfall kann eine Situation als Zustand der Unsicherheit (z. B. wenn ein Schiff nicht innerhalb der im Reiseplan angegebenen Zeit im Hafen angekommen ist) oder als Zustand der Bereitschaft (z. B. wenn das Schiff nicht ohne unmittelbare Gefahr manövrieren kann) eingestuft werden.
Für die Rettung von Seeleuten in Seenot wurde der Seenotrettungsdienst eingerichtet. Seine Tätigkeit wird durch das Internationale Übereinkommen von 1979 über den Such- und Rettungsdienst auf See (IMO-SAR) geregelt.
Nach dem Seerecht ist ein Kapitän, gegenüber einem Schiff das in Seenot in gerät, verpflichtet, jede erforderliche Hilfe zu leisten, sofern dies ohne ernste Gefahr für sein eigenes Schiff oder seine Mannschaft möglich ist.
Siehe auch das Gedicht Trutz, blanke Hans von Liliencron.
Weitere bekannte Schöne Gedichte namhafter Dichter, die sich der Lyrik verschrieben haben:
- Mittagszauber - Hedwig Dransfeld
- Der Tod ist nichts… - Henry Scott Holland
- Nis Randers - Otto Ernst
- Abend - Heinz Zucker